Foto-Copyright: Harald Januschke

Eurovision mit Orchester? Ja, in Hannover!

Die UNESCON fand Ende Juni das erste Mal in Hannover statt. Eurovision Song Contest-Stars aus Vergangenheit und Gegenwart brillierten mit Orchesterversionen.

Eine neue Song Contest Convention ging 2019 über die Bühne, und könnte sich unter ESC-Fans zu einem internationalen Pflicht-Event entwickeln. Ganz bewusst wurde der Termin auf eine Zeit knapp nach dem ESC angesetzt. Das perfekte Mittel gegen die PED – der Post-Eurovision-Depression.

Für das Wochenende konnten verschiedene Pakete bestellt werden – vom VIP Paket mit Abendessen, Plattenbörse, ESC-Disco und Abschlusskonzert bis zum „Beginner“-Ticket für den Gala-Abend mit ESC-Stars samt Orchester. Viele Song Contest-Fans trauern dem Ende des Orchesterpflicht bekanntlich nach. 1998 war das letzte Jahr mit Orchester. Für Irving Benoît Wolther, besser bekannt als Dr. Eurovision, Grund genug, diesen viel gehegten Wunsch zu erfüllen. Wenn man Songs mit Orchester schon nicht mehr beim Original erleben kann, so zumindest in Hannover bei der UNESCON.

Hannover wurde nicht nur deshalb als Stadt ausgewählt, weil Organisator Wolther hier lebt und die letzte deutsche Siegerin, Lena Meyer-Landrut, eine Hannoveranerin ist, sondern weil die Stadt sich als „UNESCO City of Music“ als Musikstadt positionieren will und so war das Kulturzentrum „Pavillon“ in Hannover Heimstätte eines magischen Abends mit bekannten und weniger bekannten ESC-Melodien, vom Klangkörper des „Orchesters im Treppenhaus“ getragen.

Die sieben Stars von 1968 bis 2019

Ganze 51 Jahre ist es her, als Claes-Göran Hederström 1968 für Schweden am Eurovision Song Contest teilnahm, als Massiel gewann und Cliff Richard zweiter wurde. „Cliff Richard trat mit in den Arsch“, wie Hederström sich an den Song Contest im Interview erinnert, „aber nur zum Spaß um mir Glück zu wünschen.“ Alle anderen Erinnerungen seien aber langsam verblasst, wie Hederström, der damals Fünfter wurde, erzählt. Übrigens sind die Interviews mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern in diesem Sommer beim „Merci Chérie“-Podcast zu hören. Sein Beitrag „Det börjar verka kärlek, banne mej“ hat in Schweden Kultstatus. Hederström sang diesen, sowie „Congratulations“ und seinen Beitrag vom Melodifestivalen 1973 „Historien om en vän“, der damals aber genau so scheiterte wie ABBAs „Ring Ring“.

Corinna May aus Deutschland sang ihre drei ESC-Songs, und war selbst vom Klangkörper des Orchesters überrascht. „Schade, dass nicht mehr mit Orchestern gearbeitet wird. Für mich ist das ein neues Erlebnis. Seit 1999 gibt es ja Halbplaybacks.“ sagt sie im Interview. „Hört den Kindern einfach zu“, ihr disqualifizierter Beitrag aus dem Jahr 1999 war ebenso Teil des UNESCON-Programms, wie „I Believe In God“ (Vorausscheidung 2000) und „I Can’t Live Without Music“ (ESC 2002).

Chiara Siracusa aus Malta nahm 1998, 2005 und 2009 gleich dreimal beim Eurovision Song Contest teil, um zweimal knapp nicht zu gewinnen. Ihre Stimme gewann aber an diesem Abend eindrucksvoll die Herzen der Fans mit ihren drei Beiträgen „The One That I Love“, „Angel“ und „What If We“. Sie trifft nach wie vor jeden Ton kristallklar.

Manuela Bravo, die 1979 für Portugal antrat, war die nächste Veteranin beim Gala-Konzert. Ihr Beitrag „Sobe, sobe, balão sobe“ brachte das Publikum wie damals zum Tanzen. Immerhin versuchte es Portugal damals einmal mit modernen Pop-Klängen statt des üblichen Schwermuts. Am nächsten Tag gab Bravo für alle angereisten ESC-Fans noch ein ergreifendes Fado-Konzert. In der Gala würdigte sie zudem der vor kurzem verstorbenen Künstlerin Maria Guinot und sang ihren wunderschönen Titel „Silêncio e tanta gente“ (1984), zudem interpretierte sie Salvador Sobrals „Amar pelos dois“ (2017).

Şebnem Paker sorgte für ein türkisches Revival in der ESC-Community. Ihre Beiträge den Jahren 1996 („Beşinci mevsim“) und 1997 („Dinle“) klingen auch 2019 noch immer frisch und überwältigend. Ihr Auftritt war eine besondere Rarität, da Şebnem Paker sich von den Bühnen – zumindest in den letzten Jahren – zurückgezogen hat. „Meine zwei Kinder waren jetzt einmal wichtiger“, sagt sie im Interview. Zudem würde sie ihr Land gerne wieder beim Eurovision Song Contest sehen.

Elina Nechayeva konnte mit ihrem umwerfenden Sopran besonders brillieren. „La Forza“ (Estland 2018) klang auch 2019 immer noch gut – und dank Live-Orchester sogar noch eindringlicher als je zuvor. Mit ihr gab es auch ein Wiederhören mit einem alten österreichischen Beitrag. Sie sang „Nur in der Wiener Luft“ aus dem Jahr 1962. Eleonore Schwarz wurde damals mit null Punkten Letzte. Zu Unrecht, wie man in Hannover hören konnte. Ein Lied, das sogar Backhenderln besingt! Zudem sang sie eine Sopran-Version von „Kuula“ (im Original von Ott Lepland, 2012 gesungen).

Chingiz aus Aserbaidschan rundete den den Gala-Abend mit akustischen Flamenco-Versionen seines 2019-Beitrags aus Tel Aviv („Truth“) und des hebräisch gesungenen „Milim“ (Israel 2010) ab. Er begleitete sich selbst virtuos auf der Gitarre. Im Finale intonierte er gemeinsam mit Elina Nechayeva eine ganz besonders schöne Version von „Arcade“, dem Siegertitel 2019.

Ausklang des Gala-Abends war eine ESC-Disco. Dort entpuppte sich Kaia Tamm, Letzte im Halbfinale der estnischen Vorausscheidung, als Party-Kanone der Extraklasse. Sie sang nicht nur ihren deutschsprachigen Beitrag „Wo sind die Katzen?“ sondern mit ihrem Bruder – der am nächsten Tag schnell zurück fliegen musste, weil er beim estnischen Militär einrücken musste – eine grandiose Version von Alf Poiers „Weil der Mensch zählt“.

Eine weitere UNESCON Convention wird hoffentlich 2020 wieder stattfinden. Eine Reise aus Österreich zahlt sich jedenfalls aus. Mit dem ICE ist Hannover von Wien bereits in etwas über sieben Stunden einfach und ökologisch nachhaltig erreichbar.

Alle Künstlerinnen und Künstler gaben „Merci, Chérie – Der Eurovision Podcast aus Wien“ Interviews. Die werden im Laufe des Sommers veröffentlicht (zu finden unter anderem auf Apple Podcast, Spotify oder Google Play).

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